Wann ist die Sühne abgeschlossen?

Gedanken zur Petition gegen Jörg Bodenmüllers Vorstandsfunktion im Verband der Schweizer Berufsreiter

von SEC-Redaktor Christoph Meier

8.10.13. Die Fakten sind bekannt: CC-Reiter, Tierarzt und Reitlehrer Jörg Bodenmüller wurde 2010 vom Bezirksgericht Winterthur wegen Tierquälerei zu einer bedingten Geldstrafe von 210 Tagessätzen à 100 Franken und einer Busse von 4000 Franken verurteilt. Seit August 2013 ist er Mitglied des Vorstands des Verbands der Schweizer Berufsreiter, Swiss Horse Professionals. Die Freizeitreiterin Uschi Regli reichte am 6.10.2013 eine von über tausend Leuten aus der Schweiz und weiteren Ländern unterzeichnete Petition ein bei diesem Verband mit dem Begehren, Bodenmüller mit sofortiger Wirkung aus dieser Vorstandsfunktion zu entlassen. Am 7.10.2013 stellte Bodenmüller sein Amt freiwillig zur Verfügung.

Im Folgenden geht es um die Grundsatzfrage, was langfristig der richtige Umgang mit Straftätern sei. Dass 'carte blanche' nicht die Lösung ist, sehen wir bei den Mördern auf Hafturlaub. Und dass man es mit der Wiedereingliederung auch übertreiben kann, im Fall 'Carlos'. Aber wann gilt eine Tat als gesühnt? Und erweisen wir den Verurteilten mit unserem 'Kuschel-Strafrecht' mit den bedingten Geldstrafen nicht einen Bärendienst? Wie lange soll und darf einem Verurteilten seine Verfehlung immer wieder unter die Nase gerieben werden? Gibt es in unserem datensammlungswütigen Zeitalter überhaupt noch so etwas wie die Löschung eines Eintrags?

Vom Sinn der Strafe
Strafe hat in unserem Rechtsstaat mehrere Ziele, die zum Teil in starker Konkurrenz stehen zueinander. Wenn ein durch schuldhaftes Verhalten oder Unterlassen entstandenes Ungleichgewicht nicht durch direkte Wiedergutmachung wieder ausbalanciert werden kann, legt das Kollektiv andere Formen der Wiederherstellung der Gerechtigkeit fest, zum Beispiel Busse, Gefängnisstrafe oder Sozialarbeit. Dadurch sollen die durch die Tat Geschädigten bzw. Betroffenen Genugtuung erfahren. Der Schaden soll irgendwie ausgeglichen, die Schuld des Täters gesühnt werden. Strafe hat aber auch ein generalpräventives Ziel, das durch die Bekanntmachung und die mediale Aufarbeitung angestrebt wird: die Strafe soll andere potenzielle Täter von der gleichen, einer ähnlichen Tat oder im Idealfall überhaupt von einer strafrechtlich zu ahndenden Tat abhalten. Strafen sind aber auch dazu da, die Gesellschaft vor den Tätern zu schützen, den Tätern zu verunmöglichen, rückfällig zu werden, die gleiche oder eine ähnliche Tat wieder zu begehen. Bei der klassischen Gefängnisstrafe aufgrund eines Gewaltverbrechens steht dieses Anliegen sogar klar im Vordergrund. Bei all diesen drei Zielen steht die Gesellschaft im Hauptfokus.

In starker Konkurrenz zu diesen drei Zielen stehen die Stossrichtungen des Strafrechts, bei denen der Täter im Fokus ist: Therapie, Erziehung, Reintegration des Täters in die Gesellschaft. Am deutlichsten wird die Unvereinbarkeit der gesellschafts- und der täterorientierten Ziele des Strafrechts in Ländern, die noch die Todesstrafe praktizieren. Bei einer bestimmten Schwere des Verbrechens werden nur noch die gesellschaftsorientierten Ziele verfolgt. Der Täter wird als 'Non-Valeur' betrachtet, als Mensch, bei dem sich der Versuch einer Reintegration gar nicht lohnt. In der Schweiz ist eine dauernde Debatte im Gang über die Gewichtung der verschiedenen Ziele der Strafe. Zurzeit sind Bestrebungen im Gange, von den erst vor wenigen Jahren eingeführten bedingten Geldstrafen wieder abzurücken, da sie weder spezialpräventiv wirken – also den Täter kaum abhalten davon, weitere Straftaten zu begehen, noch generalpräventiv wirken – im Gegenteil, diese auch als 'Kuschel-Justiz' kritisierten bedingten Geldstrafen können sogar einladend wirken für potenzielle Straftäter.

Der Bärendienst des 'Kuschel-Strafrechts'
Die bedingten Geldstrafen – dies meine These – schaden aber auch dem Verurteilten und dessen Reintegration, da weder aus der Sicht der Gesellschaft noch aus ehrlichem eigenen Empfinden des Täters die Tat als gesühnt, als wiedergutgemacht empfunden wird. Im konkreten Fall Bodenmüller: Für einen begüterten Mann – und für eine Gesellschaft, die das weiss – ist das Urteil, mit der Drohung zu leben, im Wiederholungsfall 21'000 Franken bezahlen zu müssen, keine relevante Sühne, die ihren Sinn und ihre Wirkung entfalten kann, weder für den Verurteilten noch für die Gesellschaft. Dieses unbefriedigte Gerechtigkeitsempfinden der Gesellschaft ist meines Erachtens ein wichtiger Teil des Nährbodens für die Petition, die so rasch so viele Unterzeichner fand. Ich halte sie trotzdem für falsch, da sie sich über die Justiz hinwegsetzt und eine Perpetuierung und Erweiterung der Strafe anstrebt.

Reintegration muss eine Chance haben
Das Gericht hätte die Möglichkeit gehabt, Bodenmüller die Approbation als Tierarzt zu entziehen und weitere Massnahmen zu treffen, um ihm auch die Berufsausübung als Reitlehrer zu verunmöglichen oder zumindest zu erschweren. Das Gericht hat darauf verzichtet und damit eine Reintegration in den beiden Berufsbereichen ermöglicht. Man kann am Stammtisch über jedes Urteil unserer Gerichte herziehen und als Betroffener kann man ein Urteil auch über einige Stufen hinweg anfechten. Und man kann auf politischem Weg sich für eine Änderung der Gesetze stark machen. Aber es ist meines Erachtens nicht an uns, auf dem Weg über die Medien eine gesühnte Tat immer wieder aufzuwärmen und so eine Reintegration des Verurteilten zu torpedieren. Gerade das Engagement im Berufsreiterverband kann man nämlich auch als aktive Reintegrationsbemühung Bodenmüllers deuten, genau so wie seine offenbar von sehr viel Umsicht geprägten Bemühungen um seine Reitschüler. Bodenmüller hat meines Erachtens wie jeder, der einmal mit dem Gesetz in Konflikt kam und seine Busse bezahlt, seine Strafe abgesessen hat, ein Anrecht darauf, in Ruhe gelassen zu werden. Jemandem immer wieder alte Verfehlungen unter die Nase zu reiben, zeugt auch von einem etwas pharisäerhaften, selbstgerechten Zug, den ich auch nicht gerade für ethisch wertvoll halte.

Selbstgerechtigkeit
Empathie, sich in ein anderes Wesen hineinfühlen, ist kein Ziel unseres Strafrechts, aber sie gehört zu den Grundwerten unserer Gesellschaft. Und wenn es uns nicht gelingt, uns in einen Verurteilten hinein zu versetzen, können wir uns ja wenigstens fragen, ob wir selbst denn in jeder Hinsicht immer so gehandelt haben, dass wir ein Leben lang an jede Tat erinnert werden möchten. Wenn wir es nur schon schaffen, nach Analogien zu suchen in unserem eigenen Leben, stellen wir vielleicht fest, dass wir auch nicht immer nur brav und regelkonform gelebt haben – oder dass wir manchmal vielleicht einfach das Glück hatten, dass es gar keine Regel gab, die unsere Verfehlung unter Strafe gestellt hätte – oder dass wir schlicht nicht erwischt wurden. Und wer aus der grossen Rösselergemeinde möchte von sich behaupten, er hätte noch nie etwas falsch gemacht mit den Pferden? Wer weiss denn, ob Pferde nicht schon das Übergewicht vieler ReiterInnen als Quälerei empfinden? Ich will die Tat des Verurteilten damit nicht verharmlosen, aber ich möchte alle PetitionsunterzeichnerInnen dazu einladen, auch im eigenen Gärtlein ein wenig zu graben und nicht mit allzu viel Selbstgerechtigkeit und Häme auf einen zu zeigen und mit Worten zu schiessen, der seine Strafe gehabt hat und dessen Verfehlung meines Erachtens gesühnt ist. Ich hoffe, dass nach dem Rücktritt Bodenmüllers aus dem Vorstand des Berufsreiterverbands nun endlich Gras über die Sache wachsen kann.